Teil 1: Meine aktuellen Beobachtungen zum Thema Home-Office
Die Möglichkeit zumindest zweitweise im Homeoffice zu arbeiten wurde von vielen Mitarbeitern, vor allem jüngeren Generationen, schon seit längerer Zeit gefordert. Aktuelle Umfragen zeigen sogar, dass die Möglichkeit räumlich und zeitlich flexibel zu arbeiten, im „Wat for Talent“ ein wesentliches Merkmal für die Entscheidung bei der Arbeitgebersuche ist. Die Gründe der Ablehnung solcher Arbeitsmodelle seitens der Arbeitgeber sind dabei vielschichtig. Die bestehende Organisation und Führung auf der einen Seite ist auf Präsenz ausgerichtet, auf der anderen Seite passt auch oft die gelebte Firmenkultur nicht zum mobilen Arbeiten. Je niedriger der Grad der Digitalisierung eines Unternehmens ist, umso größer sind dann auch die technischen Probleme, die von der IT reklamiert werden.
Jetzt wurden wir alle von der Corona Krise überrascht. Viele Unternehmen, die mobiles Arbeiten bisher abgelehnt haben, sind nun gezwungen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken, damit sie eine Chance haben die Krise zu überleben. Plötzlich finden sich diejenigen die es immer schon wollten zuhause wieder, aber auch alle die bisher nie an mobiles Arbeiten heran wollten oder konnten. Diese Situation ist also nicht freiwillig und geplant, sondern gezwungenermaßen kurzfristig eingetreten.
Die Pandemie erfordert also nicht nur ein grundsätzliches Umdenken in Bezug auf die Organisation in den Unternehmen, sondern auch eine Infragestellung der aktuellen Unternehmenskultur, ja vielleicht sogar des aktuellen Geschäftsmodelles. Das derzeit nötige „Social Distancing“ führt zu einigen bisher nicht bekannten Problemen in der Zusammenarbeit, aber auch in der eigenen Wahrnehmung und Wertschätzung.
Die technischen Notwendigkeiten der Büro-Arbeitsplatzverlagerung in die Privatwohnung der Mitarbeiter hat die meisten IT-Abteilungen aufgrund der aktuell immer mehr umgreifenden Digitalisierung nicht vor allzu große Probleme gestellt und meistens schnelle Lösungen finden lassen. Das erste was neben der nötigen Hardware schnell bereitgestellt werden musste waren z.B. VPN Lizenzen für alle Mitarbeiter. Und es haben noch längst nicht alle Menschen einen schnellen Internetzugang in ihrer Privatwohnung. Doch das ist nur eine Seite der Medaille.
Die Mitarbeiter hatten keine Chance sich vorzubereiten und die bestehende Kommunikation und Organisation im Unternehmen und zuhause entsprechend anzupassen.
Anders als bei von langer Hand vorbereitetem Home-Office wurden sie jetzt ins kalte Wasser geworfen. Die vorzufindenden Situationen im wohnlichen Umfeld sind so individuell wie die Lebensmodelle der Menschen. Da gibt es Singles, Familien mit und ohne Kinder, Wohngemeinschaften etc. … jedenfalls sind jetzt alle gleichzeitig zuhause.
Ist genug Platz in der Wohnung und eventuell sogar ein Arbeitszimmer vorhanden? Wo arbeitet man denn jetzt? Sind eventuell sogar zwei Personen da aber nur ein Arbeitszimmer? Wo stellt man seinen Computer hin? Ist das Internet schnell genug, bzw. komme ich per VPN in das Firmennetz? Wer kümmert sich jetzt um die Kinder?
Fragen über Fragen auf die man sich i.d.R. eben nicht vorbereitet hatte.
Ich verfolge seit nunmehr drei Wochen was die Menschen bewegt und wie sie sich organisieren. Es sind überall Ratgeber und Tipps wie Pilze aus dem Boden geschossen und fluten die Social Networks. Speziell in Westeuropa fällt mir auf, dass man versucht die Mitarbeiter dazu zu bewegen feste Strukturen aufzubauen. Morgendliche digitale Team-Meetings etc., bis hin zur Empfehlung sich businessmäßig zu kleiden.
Das zeigt mir vor allem, dass die Kultur in den Unternehmen noch auf traditioneller Kontrolle basiert und nicht auf einer zukunftsfähigen Vertrauens-Kultur, die u.a. Voraussetzung für mobiles und vernetztes Arbeiten ist.
Eigentlich soll das mobile arbeiten und vor allem das Home-Office eine freie und eigenverantwortliche Organisation und Nutzung der eigenen Zeit ermöglichen
Kinderbetreuung, Haushalt, Freizeitaktivitäten, Familie, Einkauf usw. in Einklang mit der Arbeit zu bringen. Natürlich ist die ungewohnte Situation für Allleinstehende eventuell auch eine psychische Belastung. Auf der einen Seite fehlt vielleicht die soziale Integration, auf der anderen Seite haben die Menschen ihre Arbeitszeiten nicht selbst im Griff und überfordern sich. Treffpunkte in der Gemeinschaft werden virtuell, z.B. in Form einer „digitalen Kaffeepause“ erzeugt, und eine neue Art der Führung trägt auch dafür Sorge, dass die Mitarbeiter sich nicht abkoppeln und überfordern.
Auch positive Effekte werden schnell sichtbar. So bemerken die Menschen nun die Realisierung der höheren Produktivität im Homeoffice wenn man, fokussiert auf eine Aufgabe, ohne Ablenkung arbeiten kann. Sofern das denn auch durch die individuelle familiäre Situation in diesen Zeiten möglich ist.
Wegfall von unproduktiven Zeiten im Büro die z.B. dadurch entstehen, dass Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlassen, um zum Meeting-Raum zu gelangen. Das gilt auch für den Fall im Schrank etwas zu suchen, dabei unter Umständen noch auf Kollegen treffen und ein Schwätzchen halten. Mobiles Arbeiten geht grundsätzlich mit einem höheren Grad an Digitalisierung der Prozesse einher. Vor allem aber wird die Meeting-Kultur auf den Kopf gestellt. Jetzt fällt auf wie man ein Meeting besser vorbereiten kann und dadurch in relativ kurzer Zeit zu Ergebnissen kommt.
Ein kleines Beispiel: Im Webmeeting versteht man nichts mehr, wenn durcheinander gesprochen wird. In vielen „Face to Face“ Meetings ist das jedoch normal geworden. Da unterhalten sich auch gerne mal die Sitznachbarn miteinander in Grüppchen, oder es werden E-Mails am Notebook beantwortet, anstatt dem Meeting zu folgen.
Vieles was man bei einer geplanten mobilen Organisation wie selbstverständlich berücksichtigen würde lässt sich derzeit natürlich nicht umsetzten. Gerade die „Kontaktsperren“ verhindern die eigentlich gewollten und nötigen Ausgleichzeiten durch soziale Interaktionen. Einige haben auch Probleme mit der Ernährung, weil sie durch erhöhten Konsum von Süßigkeiten und dergleichen zunehmen. Der Ausgleich durch Sport ist je nach Wohnlage erheblich erschwert. Fitnesscenter sind geschlossen und Parks oft nur limitiert zugängig. Doch auch diese Pandemie wird irgendwann vorbei sein und dann werden wir alle eine andere Sicht auf die traditionelle Büroarbeit haben. Darauf werde ich im zweiten Teil des Artikels eingehen.
Jörg Bakschas, April 2020
Teil 2: Wie wird sich die Büroarbeit nach Covid-19 verändern?
Was sind die „Learnings“ aus der Krise?
Durch den mehr oder weniger weltweiten „Shut-Down“ sind nicht nur Lieferketten in der öffentlichen Wahrnehmung gestiegen, die selbst große Konzerne bei Störungen zum Stillstand bringen können. Es sind vor allem die vielen kleinen Branchen und Einzelunternehmer in den Fokus gerückt die sonst wie selbstverständlich funktioniert hatten. Die Gesellschaft diskutiert jetzt über die profitorientierten Gesundheitssysteme und lernt nun schmerzhaft was die Mediziner und Pflegeberufe wirklich leisten.
Das Werteempfinden der Menschen hat sich grundlegend geändert und die Bereitschaft zur Veränderung erhöht. Dadurch dass sich sehr viele Menschen plötzlich in einer Art Isolation wiedergefunden haben wurde realisiert welchen Einfluss die direkte Kommunikation bei einem realen Treffen nicht zuletzt auf die eigene Psyche hat. Die Nutzung virtueller Meetings, unterstützt durch Portale wie MS-Teams, WebEx, Zoom, Skye etc., hat nicht nur explosionsartig zugenommen, sondern ist nun flächendeckend zur Selbstverständlichkeit geworden.
Fehlen die realen Treffen im Büroumfeld, dann denken wir ggfs. zuerst an E-Mails als Ersatz. Es hat sich aber auch schon vor der Krise sehr schnell gezeigt wie umständlich und eindimensional diese Kommunikationsform ist. Wir alle kennen ja die Probleme mit dem „zwischen den Zeilen lesen“ und den endlosen Listen von Personen, die in Kopie genommen werden. Auch Telefonate werden bereits nach kurzer Zeit als unzureichend empfunden, wenn man gewohnt ist sich in Meetings mit Nutzung von Präsentationen, Flip-Charts, Boards etc. auszutauschen. Erst die „Videokonferenz“ vermittelt ein Gefühl ähnlich einem realen Meeting. Hierbei ist der wichtigste Punkt „Gesicht zu zeigen“! Erst wenn ich mein Gegenüber sehen kann bekomme ich viele wichtige Informationen durch Gestik und Gesichtsausdruck. Speziell beim Thema „virtuelle Führung“ wird dies zu einem wesentlichen Element der Kommunikation.
Wir haben uns durch die vielen Home-Office-Meetings aber auch besser kennengelernt. Ich habe sehr viele Postings gesehen und Web-Meetings mitverfolgt, bei denen die Menschen sich absolut positiv darüber geäußert haben ihre Kollegen und Kolleginnen zu ersten Mal in Freizeitkleidung gesehen zu haben. Man sieht, mehr oder weniger, wie der Andere wohnt, spricht auch abteilungsübergreifend über private Dinge.
In den Medien heißt es die Pandemie macht uns dick durch den erhöhten Konsum von „Junk-Food“. Gesunde Ernährung und körperliche sowie geistige Fitness zu erhalten sollten eigentlich im Home-Office leichter als im Büro. Gerade damit hatten aber viele offenbar zumindest anfangs ihre Probleme. Doch nicht nur wie man sich fit hält, sondern auch wie man Pausen sinnvoll nutzen kann und seine Freizeit gestaltet sieht man nun aus einer anderen Perspektive. Allerdings ist mir aufgefallen, dass gerade das Grundlegende was für viele das Home-Office ausmacht, nicht umgesetzt wurde.
Was wurde ganz schnell in den Medien unter der Rubrik „Tipps für das Home-Office“ verbreitet? Feste Arbeitszeiten, Businesskleidung, regelmäßige Meetings jeden Morgen. Das ist genau das was diejenigen die schon vor der Krise für das Home-Office plädiert haben nicht wollten. Natürlich sollte möglichst ein professionell eingerichteter Arbeitsplatz mit Bürostuhl und Schreibtisch vorhanden sein. Wenn man arbeitet, dann arbeitet man auch und isst nicht, oder spielt mit Kindern oder Haustier. Aber wie man sich organisiert, wann man mit welchen Kollegen ein Meeting braucht, konzentriert arbeitet oder relaxen will, Sport treibt etc. das macht mobiles Arbeiten aus.
Die Unternehmen haben gelernt neue Wege zugehen, neue Dinge auszuprobieren, ja teilweise sogar begonnen Ihre Geschäftsmodelle zu überdenken.
Fragestellungen die früher bestenfalls einmal in einem trendigen Wochenend-Workshop thematisiert wurden stehen jetzt ganz oben auf der Agenda: Was sind die Kernaufgaben des Unternehmens? Wer sind unsere Kunden und was wollen sie wirklich? Was ist das Not-Programm, das wir brauchen damit die Firma überlebt?
Man hat sich mehr mit den Kunden beschäftigt, versucht sie trotz der vielen Einschränkungen nicht zu verlieren und sich gleichzeitig erlaubt die eigene Kultur in Frage zu stellen. In den letzten Wochen haben wir gesehen wie kreativ vor allem kleine Unternehmen bis hin zu Selbständigen ihre Geschäftsmodelle und Angebote den veränderten Marktbedingungen angepasst haben.
Was heißt das für die Zukunft des Büros?
Die Digitalisierung ist definitiv beschleunigt worden und hat gleichzeitig auch mehr Raum eingenommen. Sie hat Marktbereiche und Unternehmen erreicht die sich bisher wenig oder gar nicht mit der Digitalisierung beschäftigt hatten. Der Begriff der „Systemrelevanz“ wird auch weiterhin zu einer Marktbereinigung führen. Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen sich in der Zeit der Restriktionen sehr viel mehr mit sich selbst und den Gesellschaftssystemen auseinandergesetzt, haben in denen sie leben.
Prioritäten werden sich verschieben. Die ganze Welt hat zwar nach einigen Wochen über das hamstern von Klopapier gelacht, aber auch dem Letzten ist deutlich geworden wie unsere Wirtschaftssysteme funktionieren und vor allem, dass ohne Menschen nichts geht. Man achtet wieder aufeinander und selbst konkurrierende Unternehmen propagieren das „Wir“.
Anpassungen von Organisation, Arbeitsplatz, Zeiten, Erreichbarkeit etc. stehen auch nach der Krise auf dem Prüfstand und ggfs. wird nun auch vom Gesetzgeber über neue Arbeitszeitmodelle nachgedacht. Denn eins muss klar sein, das mobile Arbeiten ist zukünftig nicht mehr nur ein Exot einer kleinen Elite, sondern eine Selbstverständlichkeit für die Mehrheit der Büroarbeiter. Wenn man sich im Detail ansieht wie sich die meisten Firmen in der Krisenzeit kurzfristig organisiert haben, um konkurrenzfähig zu bleiben, dann fällt auf, dass die Selbstorganisation auch zu mehr Selbstverantwortung geführt hat. Die schon lange aus der IT bekannten Prinzipien agilen Arbeitens habe in den letzten Wochen, auch wenn sie nicht so bewusst wahrgenommen wurden, allgemeine Verbreitung gefunden.
Zwar ist die Nutzung von virtuellen Meetings nun selbstverständlich, aber es ist auf der anderen Seite von den meisten Mitarbeitern etwas vermisst worden: Das Büro als sozialer Treffpunkt. Ich habe von einigen Unternehmen schon gehört, dass sie natürlich weiter neue Büros in der Planung haben, aber sich durchaus vorstellen können, dass diese anders aussehen als bisher.
Man wird sich damit auseinandersetzen was in der Krise gut, was schlecht war und was man in Zukunft weiterentwickeln will. Im Kern geht es um mehr Flexibilität in Bezug auf Raum und Zeit, um Multi-Spaces und natürlich auch um Desk-Sharing.
Die Öffnung des Unternehmens für interdisziplinäres Arbeiten in vernetzten, teils mobilen Teams, ist getrieben durch die Organisation der Zusammenarbeit und bestmöglichem Einsatz der Ressourcen. Zu den Ressourcen gehört natürlich der Mitarbeiter um den ja heute schon im „War for Talent“ gekämpft wird. Ich bin gehe davon aus, dass die Mehrheit der Mitarbeiter auch zukünftig mobil arbeiten wollen.
Nicht immer und ausschließlich, aber mindestens ein oder zwei Tage in der Woche.
Dann können sie konzentriert und hochproduktiv arbeiten. Im Büro wird es mehr darum gehen zu kollaborieren und in kreativen Zusammenkünften Innovationen voranzutreiben. Das mobile Arbeiten verringert nicht nur Pendel-Zeiten, die den Individualverkehr entlasten, sondern ermöglicht den Menschen auch eine verbesserte Work-Life-Balance.
Führung wird anders gelebt werden, da das Vertrauen ist in der Krise notgedrungen gewachsen ist und Menschen lernen sich zukünftig anders zu organisieren. Dies wird nicht zuletzt durch die weiter fortschreitende Digitalisierung ermöglicht. Es gilt nun in den Unternehmen zu entscheiden wieviel „Distanz“ wollen wir auch nach der Krise noch, und welche Formen der Zusammenarbeit mit den eigenen Mitarbeitern und Geschäftspartnern sollen für die Zukunft entwickelt werden.
Jörg Bakschas, Mai 2020